06 Januar 2011

Marthashof, die antisoziale Plastik - nach Jahr und Tag

Vorab-UPDATE Dezember 2012: theEuropean hat erneut ohne Begründung den Text vom Netz genommen; "Marthashof, die antisoziale Plastik" ist dehalb ganz am Ende zu lesen. Bei archive.org ist der Artikel noch in seiner Urform zu einzusehen, zumindest solange es dieses bedrohte Internet-Archiv noch gibt. Das gilt auch für die Leserbriefe - einen speziellen, der seitens der Redaktion unbeantwortet blieb, hier, nicht ohne Grund, zur Kenntnis: "von Frank Möller – 19.04.2010 - 20:26 Werden die Stofanel-kritischen Beiträge jetzt entfernt??? Wir vermissen unsere Stellungnahme…"

Heute vor einem Jahr erschien, zu-fällig am Erscheinungstag 2011, Epiphanias also, das Manifest der gleichnamigen AnliegerInitiative: "Marthashof, die antisoziale Plastik" : eine Exerzitie in sieben Schritten über antisozale Gier und Gewalt in einer geteilten Metropole.
AIM hat seinerzeit akzeptiert, dass von der Redaktion ein Vorwort und zwei Zwischentitel hinzugefügt wurden, die Gliederung wurde im Original etwas deutlicher: Marthashof, die antisoziale Plastik - AIM 16.12.09


Der Artikel wird seit kurzem von theEuropean nach längerer Pause wieder online gestellt. Weiterhin verschollen sind die Leserbriefe von Stephanie Schürfeld von Rettet den Eckspielplatz sowie von Frank Möller von CARambolagen, zweier der  in BIN-Berlin vernetzen Initiativen; warum sie entfernt wurden bleibt ungeklärt. Desweiteren wurde der Beginn des ersten Leserbriefes “AIM - (Braune) Hetze nach Berliner Art” entfernt. Es muss gesagt werden, dass  viele Leute im Oderberger-Dreieck es für wahrscheinlich erachten, dass "Herr Lennard West" ein Alias aus dem Umfeld der Stofanel-Investment ist.
Auch existiert der einstige Zusammenhang nicht mehr : die Rubrik "das grosse Ganze" ist verschwunden, und es wird auch nicht mehr ersichtlich, dass es unter dem Dach der Überschrift "Gated Communities" eine ironische Gegenrede des Journalisten Guido Walter gab: Wohnen in Prenzlberg - Ich möchte Teil einer Gated Community sein | The European . Damit startete dann, mit geänderter Überschrift,  "Gated Community" - Ich auch! die hyperlokalen "Prenzlauer Berg Nachrichten", mittlerweile selbst Gegenstand einer lebhaften Kontroverse.Deutungsgerangel um Prenzlauer Berg « Gentrification Blog . In den jeweiligen Leserbriefen ist erhellendes zu beiden Themenkomplexen zu erkennen.

Der damalige Gesamtzusammenhang ist noch gut in der Würdigung durch Andrej Holm zu erkennen, die tags darauf erschien: Berlin: „Latte-Laptop-Prekariat“ gegen Luxuswohnprojekt « Gentrification Blog

Im Eintrag in diesen marthashofBlog, der ebenfalls, heute vor einem Jahr am 6.Januar 2010 vorgenommen wurde, wird einer Randnotiz, eine den Begriff des Antisozialen erhellende Koinzidenz geschildert.
Und ja, um sich dem Begriff der antisozialen Plastik zu nähern, sollte mein eine Idee der These haben, zudem der Begriff die Antithese ist. Auf eine positive Definition wurde im Text verzichtet - Hier ein Versuch beides in ein Gespräch zu bringen.

Zum Themenkomplex Mauerpark, um den es ja auch im Text zur "antisozialen Plastik geht" gibt es ja mittlerweile durch die Gründung der Mauerpark Stiftung Welt-Bürger-Park eine neue hoffnungsvolle Perspektive. Mehr dazu demnächst im MAUERPARKblog .

Ansonsten gibt es im Ganzen aber wenig Anlass zu Optimismus, wie es der Zu-Fall will, bringt die Berliner Zeitung  just an diesem heutigen Jahrestag ein Bubenstück hochnotpeinlicher Hofberichterstattung zur Erscheinung, das den berühmt-berüchtigten Traum von der langen Familientafel noch zu toppen vermag: Villa mit Baumhaus
hier portraitiert Ulrich Paul die Baumumarmerin Giovanna Stefanel-Stoffel ( „Ich finde es schön, das Gesicht auf den Baum zu legen und mit ihm verbunden zu sein“), die uns keine Bäume ließ, da sie das Marthashof-Baummassaker vom 26.Februar 2008 mitverantwortet, und feiert deren Immobilienprojekte mit denen sie nicht aufhören will, gemeinsam mit Ihrem Gatten („Die Liebe hat mich nach Deutschland gebracht“)  Ludwig Maximilian Stoffel, Berlin zu beglücken.
Lustig mag man finden, dass sie indirekt einräumt nicht im Marthashof wohnen zu wollen: „Wenn wir ein Projekt planen, fragen wir uns, ob wir da selber gerne wohnen würden. Wenn ja, dann machen wir es“.
Nicht lustig wird der Nachbar aber die stereotyp vorgetragene Behauptung finden „Die meisten sind von dort“ gemeint sind die wenigen auf der Marthashofs-Baustelle lebenden Menschen, die angeblich überwiegend aus der Nachbarschaft übergesiedelt seien. Wer kennt diese alten, neuen Nachbarn, die scheinbar im Stande waren bis zu 1,4 Millionen  € für eien Wohnung zu zahlen?
Sich die Idee der "bronzefarbenen Lochblechfassaden"  auf die Fahne zu schreiben, auch das hätte Frau Stefanel besser unterlassen: jeder kann sich selbst ein Bild von den schwarz-braunen Verkleidungen machen, die auch noch meterweit über die Mauernränder ragen. „Schöne Spuren“ die sie angeblich hinterlassen will, sehen wahrlich anders aus.
Auch die neuen Einwohner bekommen nicht bloß vom unerträglichen Lärm der Baustelle, die sie bewohnen, die Ohren zugedröhnt, sondern auch von der dissonanten Kreutzersonate des Baulückenmangements, einem Euphemismus für Nachverdichtung: die Eigentümer des Nachbarhauses in der Oderberger Straße , aus der sonnigen Südseite der Republik , konnten dem Aufwertungssog  einfach nicht die Stirn bieten - dass die aufgestockte Manufaktur, eingequetscht zwischen Kastaniengärten und dem benachbarten Marthashof-Block direkt vor deren Terrassen nun eine neue Mauer bilden - einfach Pech gehabt:, auch die Townhouse-Revolution verspeist am Ende den eigenen Nachwuchs. Aber Vorsicht - vor klammheinlicher Schadenfreude wollen wir  warnen: das neue Projekt überflügelt bereits mit Warmmieten über15 €/qm die Prognosen, die Stofanel einst Kauf-Interessenten ins Ohr gesäuselt hat. Der verzichtbare positive Nebeneffekt mag sein, niemand da muss sich mehr sorgen machen ob sein scoring reicht, ihm/ihr einen Mobilfunkvertrag verweigert zu gewähren.

Und so bewahrheitet sich die Prognose, die wir von AIM bereits, seit langem gestellt haben: "Der Bezirk wolle die Straße so verändern, dass sich dort nur noch das "Neue Berliner Bürgertum" wohlfühlt" wurden wir einst im Artikel Stress auf dem niedlichen Planeten in der Berliner Zeitung  richtig zitiert und nur so kann man die großen Auseinandersetzungen im Kiez um die Aufhübschung der Oderberger Straße und aktuell vor allem der beabsichtigten Mutation der Kastanienallee zur Kastanie21 verstehen, die uns demnächst in der neuen Dekade der ElferJahre weiter beschäftigen werden: Hier geht es um durchaus mehr als die Quality-of-Life-Mobilisation von wohnenden Wutbürgern.

Marthashof von hinten:
links Dezember 2009                                                                                    unten: die nachverdichtete Situation 6. Januar 2011


Marthashof, die antisoziale Plastik

Da steht er nun, der neue Gebäudekomplex auf dem Gelände, das bis zu den Bombennächten
1943 den Marthashof der Kaiserswerther Diakonie am Verlorenen Weg im Prenzlauer Berg
behebergte: halbfertig, klatschnasser Beton, hässlich und gewaltig, wo vor kurzem noch das
kleine wilde Wäldchen inmitten Berlins grünte.

Als gewalttätige Präsenz erlebt wird das Gebilde nicht bloß von jenen, die die angrenzenden
Hinterhäuser der legendären Oderberger Straße bewohnen. An jenem Ort von dem der
Widerstand der Wir-Bleiben-Alle-Bewegung ausging, der gegen DDR-Pläne, die Plattenbau statt
Gründerzeit vorsahen, obsiegte, und später gegen BRD-Privatisierungswahnsinn scheiterte, hegt
niemand auch nur ein Fünkchen Sympathie für die Gated Community, die hier hineinimplantiert
werden soll; Not-in-my-backyard-Mentalität sei das, wird gemaßregelt: Falsch! So ein UFO sollte
in überhaupt niemandes Hinterhof landen!

Investor Ludwig Maximillian Stoffel, dessen Gattin an ihm bewundert, dass er "nicht nur ein guter
Geschäftsmann, sondern auch philosophisch und esoterisch ist", aber ficht das nicht an. Er
verheißt seiner Klientel mit seiner "ganzheitlichen Philosophie" eines "Urban Village" die
Quadratur des Kreises: "Geborgenheit, Sicherheit und gute Nachbarschaft", umgeben von
malerischer, vor DDR-Willkür geretteter Gründerzeit-Kulisse, zu der nun auch das Latte-Laptop-
Prekariat zählt, lässt sich von ihm für eine paar schlappe Hunderttausender käuflich erwerben!
Innerhalb des "neuen Berliner Bürgertums" der "finanziell Angekommenen", hinter dem Riegel
der gated community, mag das funktionieren - aber nicht in Bezug auf die Gemeinschaft jener
Nachbarn, die sich in AIM, der AnliegerInitiative Marthashof organisiert haben, und die die neuen
Mauern, die ihnen das Sonnenlicht stehlen werden, und das Grün schon geraubt haben, seit zwei
Jahren im Raum der Öffentlichkeit bekämpfen.
Nicht alle, die gegen diesen "Tsunami of gentrification" aufstehen, können denunziert werden,
selbst durch irgendeine Welle der Gentrifizierung hierher geschwemmt worden zu sein: hier
erheben sich auch Menschen gegen jene neue Mauer, die die alte von der "falschen" Seite her
erlebt haben, indem sie sich mit Neubürgern aus aller Welt verbünden und initiativ vernetzen, die
ebenso klar Position gegen diesen "Aufwertungs"-Irrsinn beziehen.

Andere wiederum halten solche politischen Initiativen wie die von AIM, deren Mitstreiter sich
beispielsweise in der Bezirksverordneten Versammlung abarbeiten, um aufzuklären wie es
überhaupt zur Planung der Marthashof-Katastrophe kommen konnte, anscheinend für
unangemessen. Diese lassen Luxuskarossen nächtens in Flammen aufgehen, und wir erfahren
aus dem RBB-Inforadio am 9.12.09 von Claudia Schmid, der Leiterin des Berliner
Verfassungsschutzes, dass auch das Nachbarn sein sollen:
"Wir haben festgestellt in einer Studie, wo wir uns die Straftaten und Gewalttaten links
angesehen haben, dass wir sogenannte verdichtete Räume haben. Das heißt das sind die
Bereiche, wo vor allen Dingen die Tatverdächtigen wohnen, wo die meisten Taten begangen
werden und wo wir auch die Trefforte von Linksextremisten haben. Und dies sind drei Räume in
Berlin, dies sind sie Bezirke Friedrichshain, Kreuzberg und Prenzlauer Berg."

Der farbgebeutelte Stofanel-Verkaufspavillon muß andauernd bewacht werden, und anders wird
auch das Implantat nicht zu schützen sein: Das Experiment Dorfleben, geschützt von der
Wagenburg aus Beton, sowie Polizei und Security, und trotzdem teilhaben am urbanen Flair -
muss doch gelingen: "Don´t compromise" prangt das Motto am Bauzaun! Zu diesem Flair kann
der Gentrifizierer kaum anderes beitragen als Euro. Aber nichts anderes als diese Euro zählen in
einer freien Marktwirtschaft, die frei ist von jedem Bezug zu den Grundbedürfnissen der Mehrheit
des Volkes. Kauf-Kraft kommt in den Kiez, lautet die zynische, doppelbödige Parole aller
Wowereits dieser Stadt, wenn sie jene auf Grundsteinlegungen und Richtfesten im Namen der
Kiez-Bewohner begrüßen: ja, man kann sich auch das Recht kaufen, seine Nachbarschaft, seien
es nun Gründerzeitbauten oder (Lebens)Künstler, als Kulisse der eigenen urbanen Befindlichkeit
zu benutzen.

Wie die Investoren durch die wachstumsfördernde Gier nach den letzten Filetstückchen getrieben
werden, soll der Käufer durch die Gier nach dem bunten Event Prenzlauer Berg getrieben
werden.
Nötig wird all dies vermeintlich durch die wirtschaftliche Armut Berlins, möglich in Wahrheit aber
durch die Armseligkeit einer Politik, die sich des einzigen Reichtums Berlins begibt: jener
Atmosphäre, die Berlin sowohl von Itzehoe wie New York unterscheidet, und so gar nicht (neu-)
bürgerlich ist.

Überall in den Sanierungsgebieten fügten Unbekannte am Neunten-Elften, jenem Tag der "iacta
alea est" Domino-Show, dem Prenzlauer Berg ein weiteres, nicht ganz so buntes Event hinzu:
rätselhaften Plakate in schwarz-gelb und weiß tauchten auf, auch in unmittelbarer Nachbarschaft
des verwüsteten Marthashofs, auf denen lakonisch nur das zu lesen war:
WIR SIND EIN VOLK! UND IHR SEID EIN ANDERES OSTBERLIN, 9.NOVEMBER2009
"Aha, Ossis gegen Schwaben" hieß es reflexartig in den Medien - oder liegt hier die Chiffre einer
anderen Konfrontation vor?
Ein seit nine-eleven verstärkt gepflegtes cocooning wird nun aufgebläht zu diesem vom
Architektenbüro Grüntuch/Ernst geplanten Monument der Marthashof-Verbetonierung, das wir
von AIM als die "antisoziale Plastik" bezeichen: Harmonie und Ganzheitlichkeit - alles bloße
Binnenbezüge innerhalb der abgeschlossen Welt des "Urban Villages", das aber ohne Bezug zu
den dort Lebenden und ohne deren Beteiligung hineingeklotzt wurde in deren Lebenswelt, die
dadurch klaustrophobische Züge annimmt: Verdichtungswerk als Vernichtungswerk. Dass
dieses "Volk" der Käufer nicht den Weitblick hat zu erkennen, dass es dieser Lebenswelt, in der
es schwelgen wollten, Gewalt antut und ihr schlussendlich den Rest gibt: traurige Tatsache. Dass
diese Menschen aber blind sind für die alptraumhafte Einkesselung, die sie sich selbst und den
Ihren antun und dafür teuer bezahlen: unbegreiflich.
Unbegreiflich auch dass die Politik erwägt, der Vivico Real Estate zu gestatten, am Mauerpark
ihrer Kundschaft die potenzierte Kopie dieses fragwürdige Modells anzubieten: zum Wedding hin
soll hier eine gigantische trennende Mauer aus ca. 700 Wohnungen entstehen - ein Projekt das
mit dem geplanten Gebäuderiegel am sozialen Äquator der Bernauer Straße in Zusammenschau
gesehen werden muss.

Die Segregation von Lebenswelten als Signatur der aktuellen Berliner Stadtplanung: neue
Mauern da, wo alte gefallen sind, Ausgrenzung und Einigelung als künftiges Lebensgefühl des
Prenzlauer Bergs und bald ganz Berlins, - denn die "Projekt-Pipeline ist voll".
Das merkwürdige Plakat: vielleicht auch ein trauriger Nachruf auf den der Gier geopferten
sozialen Frieden, der den Prenzlauer Berg so lebens -und liebenswert gemacht hat.



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